Rhythmisch wiederholt sich der Wechsel von Tag und Nacht, ähnlich den Zyklen des Lebens, die in Schleifen unaufhörlich wiederkehren. Der Tag bricht an, wenn sich Sonne und Mond gleichzeitig am Himmel gegenüberstehen. Dann erlischt das fahle Mondlicht, strahlt allein die Sonne, verändert ihre Intensität von der Morgen- bis zur Abenddämmerung. Vogelzwitschern, Ziegengemecker, Meeresrauschen erzeugen eine idyllisch anmutende Atmosphäre im Kellergewölbe des LIVE LAB STUDIOS. Das Licht lässt dabei nicht nur die Fliesen an den Wänden erstrahlen, sondern spiegelt sich auch auf den Gesichtern und Körpern der aus Keramik gefertigten Katzen. Gleich sieben an der Zahl sind zum Rudel gruppiert ins Basement eingezogen. Sie scheinen den im Raum verteilten schwarzen und weißen Kratzbäumen zugehörig und sich nur vorübergehend auf Erkundungstour begeben zu haben. Sobald aber die Sonne dem Mond weicht und Grillen zirpen, erklingen Stimmen aus dem Inneren der Kratzbäume. Stimmen, die mal einzeln zu vernehmen sind, sich dann überlagern und zum Stimmengewirr anschwellen. Wer spricht, sobald die Nacht anbricht?
Die Kinderspielzeugen nachempfundenen Katzen repräsentieren Menschen und ihre individuellen Lebensgeschichten. Menschen aus unterschiedlichsten sozialen Schichten, an welche Künstlerin Nadine Karl jeweils die gleichen Fragen richtete. Ganz so als würden diese auf den Hüpftieren Platz nehmen, nur dass die Katzen als Stellvertreter leer bleiben. Sobald aber das Licht weicht, werden in simulierter nächtlicher Dunkelheit ihre Sehnsüchte, Ängste und Wünsche laut. Denn bei Anbruch der Nacht lassen die Katzen tief in die Gedanken u.a. eines Geflüchteten, eines ehemaligen Gefängnisinsassen, einer Schönheitschirurgin oder eines Unternehmers blicken. Von Sprecher*innen nachvertont erzählen die ausgewählten Persönlichkeiten von ihrer Profession, von ihrem Alltag, von ihrer Lebensgeschichte. Unter dem Schutzschirm der Anonymität offenbaren sie Gedanken, die sie vielleicht sonst nicht einmal vor sich selbst zugeben würden. Eine der Stimmen bekennt: „Ich kann meine Ängste nur schwer überwinden”. Eine andere Person räumt ein, dass sie sehr an Eitelkeit hänge und selbst gern dieses eine strahlende Licht wäre. Viele Menschen kennen wohl dieses Gefühl, wenn eine der Stimmen sagt: „Vielleicht ein bisschen ungewöhnlich, aber ich habe schon immer die Sehnsucht etwas Besonderes zu sein“. Es sind Gedanken, die in den Kellerräumen des eigenen Ichs ein Zuhause haben, unter der Oberfläche schwären und allein in manch tiefergehenden Gesprächen aufblitzen.
„MY MONSTER IS MY HOME“ betont Gemeinsamkeiten von neun Akteur*innen, die scheinbar nichts gemeinsam haben. Die befragten Personen sehnen sich nach Partnerschaft, Freundschaft, Familie. Sie wären gern freier, möchten gesehen und verstanden werden, innere Balance finden. Ob viel oder wenig Besitz vorhanden ist, ändert nichts an der Bedeutung menschlicher Zuneigung. Nur noch einmal mit verstorbenen, geliebten Menschen sprechen und all die ungestellten Fragen an die Personen richten, welche sie nie mehr beantworten können. Die Befragten möchten reisen, die Welt sehen, sie möchten Sein, ohne sich von der Meinung Anderer beeinflussen zu lassen. „Als Kind hatte ich nur ein Ziel: Jeden Tag ein Abenteuer erleben“ – haben wir nicht alle so empfunden? Immerzu aber nagen Zweifel, eigene Unsicherheiten, Ängste an den inneren Grundfesten. Die Angst vor dem Rückfall, vor falschen Entscheidungen, vor dem Urteil der Anderen. Manchmal erwische er sich immer noch dabei, wie er sich in Tagträumen über das Leben anderer Menschen verliere, lässt eine der Stimmen verlauten.
Einige haben ein geringes Arbeitspensum, sind anerkannt, verdienen eine Menge Geld. Andere haben Krieg erlebt, waren inhaftiert oder sind schwer erkrankt. Was aber macht wirklich frei? Finanzielle Unabhängigkeit, ein sinnstiftender Beruf, eine liebevolle Partnerschaft? Vielleicht liegt das Glück im Zauber der kleinen Dinge. Ein Lächeln, ein nettes Gespräch, eine warme Dusche. Und was sagt es aus, dass die geflüchtete Person weder Wünsche noch Sehnsüchte äußert? „Meine tiefste Sehnsucht, ich weiß es nicht, vielleicht habe ich gar keine“. Nadine Karl traf Menschen, die verschiedener kaum sein könnten und sich doch in Sehnsüchten, Ängsten und Wünschen angleichen. So wie Katzen, die bei Tag bunte Fellgewänder tragen und nachts allesamt die gleiche Farbe haben. Die Künstlerin spielt dabei mit Ambivalenzen, wenn die Cuteness der Katzen auf kalte Kellerräume trifft, warmes Licht sich in den glatten Fliesen spiegelt und unter der Erde im Schutz der Dunkelheit der Blick in die Tiefen der menschlichen Seele fällt.
Wer möchte, kann die Katzen zusätzlich digital von allen Seiten betrachten und sich sogar ein Exemplar sichern. Dazu lassen sich auch online alle Monologe einzeln nachhören. Vor Ort im LIVE LAB STUDIO werden sie in zwei Sessions am ersten und zweiten Septemberwochenende im 60-minütigen Rhythmus durchgehend abgespielt. So lohnt sich ein zweiter Besuch gleich doppelt. Denn alle Einblicke in diese fremden Leben fühlen sich seltsam nah an, intim, fast schon verboten. Auch wenn wir nicht alles nachvollziehen können, uns nicht in allem wiederfinden, zeigt sich deutlich, dass die Schönheit des Menschseins ein Zusammenspiel von Stärken und Schwächen bildet. Womöglich ein Anstoß, Menschen grundsätzlich wohlwollender zu begegnen. „Meine Sehnsucht ist vielleicht ein sehnsuchtsvoller Mensch zu bleiben“ – einer von vielen Sätzen, die auch nach dem Verlassen der Ausstellung noch lange Zeit nachklingen. Bereit, eine Heimat in den eigenen Abgründen zu finden?
Text von Julia Stellmann
Wie geht es dir heute?
Bist du zufrieden mit dem Tag?
Was ist deine Profession/Beruf?
Seit wann machst du das und wie kam es dazu?
Und würdest du es auch tun, wenn Geld keine Rollen spielen würde?
Was ist Alltag für dich?
Bist du damit zufrieden?
Was würdest du tun, wenn du etwas in deinem Leben ändern müsstest?
Deckt sich diese Antwort mit deinen allgemeinen Zielen im Leben?
-Wie haben sich deine Ziele verändert? (Im Gegensatz zu deiner Kindheit/Jugend/20iger…)
Was ist dir im Leben am Wichtigsten?
Lebst du nach diesen Prinzipien?
Wie kannst du die Welt ein Stück besser machen?
Wie kannst du deine Welt ein Stück besser machen?
Woran hängst du am meisten?
Wir sind jetzt ungefähr bei der Hälfte des Fragebogens - Wie geht es dir jetzt?
Stimmt dein Selbstbild mit deinem Fremdbild überein?
Wer kann dir gefährlich werden?
Was kann dir gefährlich werden?
Welche war deine wichtigste Lektion im Leben?
Was können andere von dir lernen?
Wie kannst du deine Ängste überwinden?
Was waren deine tiefen Träume in deiner Kindheit/Jugend/20igern/.?
Was erfüllt dich vollkommen?
Hast du Sehnsüchte?
Wie weit bist du von deinen Sehnsüchten entfernt?
Oder hast du sie schon erreicht?
Und nach all diesen Fragen, was ist dein tiefster Wunsch / deine tiefste Sehnsucht?
Allen Interviewpartner*Innen
Manfred Witzke
Stephanie Hahn und allen Mitarbeiter*Innen des LIVE LAB STUDIOS
Jannes Becherer
Ronja Greiner
Julia Stellmann
Johannes Raimann
Maris Prieditis
Lilli Lake
Ja Jess
Susanna Schoenberg
Liora Epstein
Dr. Barbara Oettl und ihrem Mann
Klara Virnich
Fabian Sokolowski
Stefan Wisskirchen
Cosima Ramirez
Rabea Chatha
Sarah Flechtker
Andreas Bee
Claudia Schmacke
Katja Tönnissen
Philipp Röcker
Berthold Langnickel
Bernhard Kucken
Axel Kreiser
Herbert Willems
Matthias Neuenhofer
Volker Hennes
Kunst- und Kulturstiftung der Stadtsparkasse Düsseldorf (vor allem Katharina Wettwer und Nicole Flaß)
Impressum
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